LAOTSE

Tut ab die Heiligkeit, werft weg das Wißen, so wird das Volk hundertfach gewinnen. Tut ab die Sittlichkeit, werft weg die Pflicht, so wird das Volk zurückkehren zu Kindespflicht und Liebe. Tut ab die Geschicklichkeit, werft weg den Gewinn, so wird es Diebe und Räuber nicht mehr geben. In diesen drei Stücken ist der schöne Schein nicht ausreichend. Darum sorgt, daß die Menschen sich an etwas halten können. Zeigt Einfachheit, haltet fest die Lauterkeit! Mindert Selbstsucht, verringert die Begierden! Gebt auf die Gelehrsamkeit! So werdet ihr frei von Sorgen. Zwischen Gewiß und jawohl: was ist da für ein Unterschied? Zwischen Gut und Böse; was ist da für ein Unterschied? Was die Menschen ehren, muß man ehren. 0 Einsamkeit, wie lange dauerst Du? Alle Menschen sind so strahlend, als ginge es zum großen Opfer, als stiegen sie im Frühling auf die Türme. Nur ich bin so zögernd, mir ward noch kein Zeichen, wie ein Säugling, der noch nicht lachen kann, unruhig, umgetrieben, als hätte ich keine Heimat. Alle Menschen haben überfluß; nur ich bin wie vergeßen. Ich habe das Herz eines Toren, so wirr und dunkel. Die Weltmenschen sind hell, ach so hell; nur ich bin wie trübe. Die Weltmenschen sind klug, ach so klug; nur ich bin wie verschloßen in mir, unruhig, ach, als wie das Meer, wirbelnd, ach, ohn Unterlaß. Alle Menschen haben ihre Zwecke; nur ich bin müßig wie ein Bettler. Ich allein bin anders als die Menschen: Doch ich halte es wert, Nahrung zu suchen bei der Mutter.


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Tut ab die Heiligkeit, werft weg das Wißen, so wird das Volk hundertfach gewinnen. Tut ab die Sittlichkeit, werft weg die Pflicht, so wird das Volk zurückkehren zu Kindespflicht und Liebe. Tut ab die Geschicklichkeit, werft weg den Gewinn, so wird es Diebe und Räuber nicht mehr geben. In diesen drei Stücken ist der schöne Schein nicht ausreichend. Darum sorgt, daß die Menschen sich an etwas halten können. Zeigt Einfachheit, haltet fest die Lauterkeit! Mindert Selbstsucht, verringert die Begierden! Gebt auf die Gelehrsamkeit! So werdet ihr frei von Sorgen. Was halb ist, wird ganz werden. Was krumm ist, wird gerade werden. Was leer ist, wird voll werden. Was alt ist, wird neu werden. Wer wenig hat, wird bekommen. Wer viel hat, wird benommen. Also auch der Berufene: Er umfaßt das Eine und ist der Welt Vorbild. Er will nicht selber scheinen, darum wird er erleuchtet. Er will nichts selber sein, darum wird er herrlich. Er rühmt sich selber nicht, darum vollbringt er Werke. Er tut sich nicht selber hervor, darum wird er erhoben. Denn wer nicht streitet, mit dem kann niemand auf der Welt streiten. Was die Alten gesagt: »Was halb ist, soll voll werden«, ist fürwahr kein leeres Wort. Alle wahre Vollkommenheit ist darunter befaßt.


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Wer auf den Zehen steht, steht nicht fest. Wer mit gespreizten Beinen geht, kommt nicht voran. Wer selber scheinen will, wird nicht erleuchtet. Wer selber etwas sein will, wird nicht herrlich. Wer selber sich rühmt, vollbringt nicht Werke. Wer selber sich hervortut, wird nicht erhoben. Er ist für den Sinn wie Küchenabfall und Eiterbeule. Und auch die Geschöpfe alle hassen ihn. Darum: Wer den Sinn hat, weilt nicht dabei. Macht selten die Worte, dann geht alles von selbst. Ein Wirbelsturm dauert keinen Morgen lang. Ein Platzregen dauert keinen Tag. Und wer wirkt diese? Himmel und Erde. Was nun selbst Himmel und Erde nicht dauernd vermögen, wieviel weniger kann das der Mensch? Darum: Wenn du an dein Werk gehst mit dem Sinn, so wirst du mit denen, so den Sinn haben, eins im Sinn, mit denen, so das Leben haben, eins im Leben, mit denen, so arm sind, eins in ihrer Armut. Bist du eins mit ihnen im Sinn, so kommen dir die, so den Sinn haben, auch freudig entgegen. Bist du eins mit ihnen im Leben, so kommen dir die, so das Leben haben, auch freudig entgegen. Bist du eins mit ihnen in ihrer Armut, so kommen dir die, so da arm sind, auch freudig entgegen. Wo aber der Glaube nicht stark genug ist, da findet man keinen Glauben.